Erzählung

 

08.09.2021

“ KLAGE ÜBER EINEN GENUSS“

2018. Nicht-Berlin. Tanzsymphosium für Tanzschaffende. Emanzipatorischer Anspruch im Titel. Bislang mehr Kink als Kritik.
Vordergündig spüre ich eine mit meinem allergischen Asthma einhergehende bleierne Schlappheit. Hinzu kommt eine generelle Unlust, mich auf wieder fremde Menschen einzulassen, für nur einmal, ein Wochenende lang. Schade und auch ärgerlich: nun habe ich bereits Zeit und Geld in Anreise und Unterkunft investiert.
Mit dieser eindeutig spürbaren Grenze, mit der Erkenntnis, dass ich keinen Bedarf an Abenteuer, kein Bedürfnis nach überpersönlichem Schaffen fühle, gehe ich inkonsequenterweise in eine zweistündige Gruppenexploration. In alter Leistungsgesellschaft-Manier: durchhalten, Grenzen ausweiten, die eigene Person dem Universellen zum Fraß vor die Füße werfen.

„ Geht Euren Impulsen nach, geht in Kontakt damit, nutzt die Anderen für Eure Interessen!“ Sagt die Referentin nach einem Warm-up und einer Einführung in ihr Konzept der „gentle objektification“an.

Na, prima, denkt mein inneres, konservatives und urlaubsbedürftiges Bürgertum, ich sage ja, hier wird s mir zu bunt! Nana, nicht so verklemmt und prüde, wir wollten schließlich kinkier werde, nicht war? entgegnen darauf meine New-Age-Pusher-Anteile, zuständig für immer neue, immer extremere Erfahrungen und Gefühle. Ach, sowas und ähnliches hab ich selbst schon oft genug in meinem eigenen Unterricht angesagt, zwitschert meine Neue-Tanz-Expertise unbekümmert. Während diese und mehr Gedankenfetzen mein Gehirn durchstreifen spür ich bereits eine sich verselbständigende, tigerstarke Spielkraft in mir. Eine, der die Lust Wände einzureißen vertraut ist. Eine erste ernste Warnung geht rauß: Du fühlst Dich hier nicht sicher. Du bist müde. Du brauchst Urlaub. Nicht! All diese inneren Anteile winden sich mit mir noch ein wenig im Raum umher, ich beobachte Andere wie sie noch umeinander herum schleichen oder schon miteinander herumtollen im Spiel. Ich selbst finde mich im Nacken oder Oberarm eines Teilnehmenden sanft eingebissen wieder, ein blutiger Anfänger, das war leichtes Spiel, seine Verunsicherung ist soviel größer als meine in diesem Rahmen je sein könnte, ich bin einfach ganz anderes gewöhnt.Zweite Mahnung aus dem Inneren: Du kennst den emotionalen Impact von solchen Aktionen, auch wenn dir der Rahmen vertraut ist, stopp jetzt!!!Ni-h-icht!!!

„ I have impulses to pull your hair“ sage ich nach konfrontierend aufgesuchter Gelegenheit zu einem entfernten alten Bekannten mit dem ich einige Tänze und Gespräche und Treffen und sogar etwas Mögen-Kummer vor inzwischen vielen Jahren teile.
Jetzt merke ich die Überwindung, die mich das kostet, merke Schüchternheit und Beschämung und Angst vor Zurückweisung, eben weil er kein absolut Fremder ist.

„ Go for it, it is a lot of hair“ sagt er, schnippst ein Haargummi um auf sein Handgelenk und streckt mir seinen Kopf voller überbordenden, wallenden Locken entgegen.

Ich fahre in diesen, seinen dichten Haarschopf, mir ist unmittelbar nach kämmen und weiche Strähnen fein durch meine Finger rieseln lassen. Irgendwann wird mein Griff dennoch fester, ich bündel alle Haare zu einem Dutt. Während ich mich noch mitten im Herantasten befinde, die Belastbarkeit seiner Kopfhaut einzuschätzen suche, während ich mich noch zurückpfeife, weil ich ehrlich fürchte einen schönen Menschen im Tanzrausch zu skalpieren…hängt er sich bereits genussvoll schleudernd in meinen Griff. Ich verziehe besorgt das Gesicht, vielleicht entschlüpft mir ein Schrei oder ein „Uuuaaa!“, aber wir drehen uns bereits in einem wilden, schwerpunktteilenden Tanz. Wie wir es gelernt haben. Diesmal allerdings mit einem sehr-viel-mehr an angehaltenem Atem und einer anderen, in die Mimik herausspazierenden Lust, mit einem Auffächern von allzu verschachtelten Interessen, welche sonst gern zu vertuschen gesucht werden.

Einvernehmlichkeit, denke ich, das ist Einvernehmlichkeit.

Jedes Drehen endet einmal, die Zentrifugalkraft beendet diese Begegnung sehr schnell, viel zu abrupt und zu unberührt für mein kleines, offenes und auch wundes aus-Alt-mach-Neuland, ganz ohne gemeinsamen Nachklang, das ist schon wieder mehr schade als schön. Um meinen gerade noch mit mir innig-und-intensiv-Partner schließt sich ein Meer aus Menschen, die nach ihm greifen und schauen und suchen. Ich hingegen scheine da hindurch zu glitschen, nirgends anzudocken, sickere ungehindert durch, treibe fernab. Keine gute Werbung für ein Zurück in den Sog von intimate-time-Tänzen für mich. Gleichzeitig glaube ich, dass verschiedenerlei Schönes und Wahrhaftiges, so unaufgeregt und leicht in einen Tanz rutschen kann, was leider im restlichen Leben eher schwergängig bleibt… Aber Moment, nein, das ist so falsch: da rutscht nichts, das jetzt hab ich mir aktiv in den Tanz geholt, auf eigene Initiative, auf eigenes Risiko, eigene Kosten! Ich hab mich am Buffet bedient. Habe genascht. Wurde selbst gesnackt. Ist das nun schön? Schade? Traurig? Doof? Bin ich stolz? Stolz, auf jeden Fall, doch. Ich will mich damit jetzt dennoch ablegen, die Augen schließen, verdauen, fühlen, mich feiern, mich von dieser Unvernunft erholen, auch trauern, mich retten und ankern. Unter mir bebt der Tanzboden in kleinen Wellen weiter.

21.08.2021

„UNVEREINBARES“

Wir befinden uns erneut in einem nicht-aufklärerischen Szenario, wieder ist es eine Kletterpartnerin, eine andere als beim Oben-ohne-Thema und außerdem diesmal beim Wandern. Ich plaudere aus meinem ganz persönlichen Nähkästchen, erzähle von meinem letzten Schwarm und was ihn so ausmacht. „Ein Feminist“? unterbricht mich meine Wegbegleitung überrascht,“ ich dachte nur Frauen können Feminist sein“!? Mein Puls geht kurzfristig heftig in die Höhe, ich werde bestimmt gleich ganz rot und aufgeblasen und beim nächsten Atemzug torkel ich als luftentleerender Ballon in Richtung Baumwipfel. Das möchte ich nicht und stelle also meine Stimme hoch, mache eine Grimasse und gebe irgendeinen freundschaftsspezifischen Kauderwelsch-Quatsch von mir um mich zu entspannen. Ich lasse mein Spielkind das lösen. Glücklicherweise spricht mein Gefährtin gerade auch diese Sprache und unser Ausflug wird nicht von langweiligen Grundlagen-Routinen zerfräst.
Aber nachträglich und an dieser Stelle möchte ich voller Stolz und der ganzen Welt verkünden:
Ja, alle, wirklich alle können feministisches Gedankengut haben! Das geht! Ist erlaubt! Tut nicht weh.  Bringt Spaß. Macht sogar glücklich…

21.08.2021

„GEHVERSUCHE“

Es ist ein sengend heißer Tag, kein Lüftchen bewegt die Suppe von Hitze um uns. Verschwitzte Kleidung klebt an mir. Auf kraxeln mit nacktem Oberkörper lege ich bei Riss-und Kaminklettern auf Sandstein keinen verstärkten Wert . Nach den Routen würde ich es allerdings sehr gern den freiheitsliebenden, mit viel Selbstbewusstsein und Körperverbundenheit ausgestatteten Athleten_ nachtun-und die nassen Shirts erleichtert von mir reißen, meine Aktivbräune gegen eine gleichmäßige, gleichwohl schönere Bräune eintauschen. “ Echt unfair, dass der Blick auf weibliche* Oberkörper noch so ein anderer ist wie der auf männliche*“ versuch ich meine Seilpartnerin in meine Gedankenwelt mit reinzunehmen.  „Die Frauen sind ja nicht gezwungen, BHs zu tragen“ konstatiert sie etwas unwirsch, ich fühle mich kurz in einem Mimimi-Opferrollenmodus ertappt und schäme mich für ein paar Momente. Dann setzt allerdings mein Gehirn frischgestärkt wieder ein und fragt: Nein? Nicht gezwungen??? Ich erinner mich an Bundesländer, in denen selbst in Freibädern Oben ohne baden von Seiten einer Frau* ein Verstoß ist und somit auch anzeigbar. Und dass Frauen* ohne Top oftmals als ein öffentliches Ärgernis oder gar als Sittenwidrigkeit gewertet werden. Während  Oben-ohne Baden, Sonnen, Schlagzeugspielen, Fahrradfahren, Surfen, Klettern, Turnen, Flanieren in Innenstädten bei Hitze und dergleichen mehr bei Jungs* und Männern* nunja, als Normalität anerkannt ist. Bilder von oder mit Nippeln in sozialen Netzwerken werden auf Geschlecht geprüft und je nachdem durchgewunken oder zensiert. Hab ich was verpasst? Ein T-Shirt ausziehen ohne BH oder Bustier oder sonstige Barriere drunter wär dann laut meiner Seilpartnerin….keine von der Norm ausgeschlossene Option, sondern meine eigene Wahl? Äh, o.k., ich meine: wie konnte mir das entgehen!? Nun gut, schön, dass sie sich da vom common ground, von sozialisierten Schamgefühlen und Grenzen, von Reaktionen im Außen unabhängig zeigen mag. Ich trau mich nicht so recht was zu ergänzen, so bestimmt wie ihr Satz klang. Aber: Hey! Sobald ich mich wieder was traue, mache ich gestärkt von ihrer Überzeugung und Anwesenheit die Probe aufs Exempel. Ich trete eine Feldforschung an, verkörpere ihre Behauptung und erklimme als den Jungs* ebenbürtiger Halbnackedei die Gipfel, mache Smalltalk mit Seilschaften, Nachbarschaft, Kollegium und potentiellen neuen Seil-und LebenspartnerInnen, esse Eis, schieße gemeinsame Selfies vom Weg und dergleichen mehr. Sicher dauert es nicht lange, bis ich meine Reichweite auf eine Abbildung oder einen Kommentar im Alpenvereinsblättchen vergrößern kann. Das wird ein Späßchen!!!

21.08.2021

„HAPPY-SAD“

An ein traumhaftes Plätzchen hat es mich wiedermal verschlagen.
In den Schlaf komme ich noch nicht, ich bin von der Anreise und dem Zustieg noch zu aktiv und aufgewühlt. Also krieche ich wieder aus dem Schlafsack heraus und setze mich an einen Aussichtspunkt wenige Meter entfernt, Richtung Talblick und untergehende Sonne und lasse die Dämmerstimmung auf mich wirken. Unter und hinter mir strahlt noch die Wärme ergiebigen Sommer-Sonnenlichts ab und ich bin dankbar, mich auf den Weg gemacht zu haben, trotz schwerfälligen Lösens vom städtischen Alltag. Irgendwann mischen sich in mein genießendes Schauen allmählich auch kritische Gedanken und weniger Zuversichtliches, meine Stimmung wird nachdenklich und stückweise beklommener. Die Außenwelt, gerade noch so vordergründig, kommt jetzt nicht mehr an gegen eine Art Gedankenmorast in den ich graduell einsinke.
Dass es keine wertfreie Innenwelt oder aktuelle Gefühle mit Anlass und Anwendung sind, sondern mehr ein Gedankenmorast ist, wird mir klar, nachdem eine Fledermaus ohne ankündigendes Geräusch milimeterknapp vor meiner Nase vorbeizischt, sich so ihren schnittigen Weg sucht und mit einem echten Flugwindhauch auf meinem Gesicht ein belebendes „Huch!“ und „Frech!“ wie Brause in das Wasser meines Gedankenkreisels trägt.
Meine Haltung ändert sich sofort, ich bin wie ausgewechselt: ich hebe meinen Blick, spüre mit einem Mal Wind auf der Haut, registriere eine Fülle an Bewegung um mich herum, höre Geräusche..soviel Leben!
Birken-Blätterrauschen, Baumwipfelwanken, Gräser und Büsche formen sich im Wind, hier ein Käfer, da ein sandkornschleudernder Ameisenlöwe, typisch letzte rumorende und sammelnde Vogelrufe, kauzige Schreie, Grillenzirpen leiten den Abend ein. Mir wird klar, dass es das alles in meinen eigenen vier Wänden nicht gibt, nie. So sehr ich mein Dach über dem Kopf schätze und liebe: jetzt fühle ich, dass es mich auch abschneidet und mir sehr viel Bewegung und Bewegtes nimmt. Und das zeigt mir wie sehr ich diese Form der Außenwelt brauche, Natur, Wildnis, Lebewesen, Pflanzen, Naturgewalten, die fern von menschlichem Willen den Lauf ihrer Dinge gehen, die mir zärtlich, aber mit Nachdruck demonstrieren, dass ich nur ein kleiner Bestandteil dessen und: keineswegs alleine bin.
In mir löst sich ein kleiner schaffen-müssen-erwachsen-sein-vergleichen-und-mithalten-und-sich-bewähren-und-beweisen-Klos im Hals und Bruskorb, die Urgewalten rücken näher und zerkrümeln routiniert die Reste Beklemmung und Angst, die gerade noch am allergrößten waren. Ich denke nur noch gebetsmühlenhaft: „Ich brauch das, ich brauch das, ich war zu lange nicht hier, ich möchte ganz lange hier sein, das fehlt mir, das hat mir so gefehlt, ich schaff gar nicht soviel hier zu sein, wie ich das brauch!“ Und: „Endlich bin ich da, ich bin da, es ist so schön, ich möcht´ nie wieder weg.“
Da sind sie, meine Ankommtränen. Sie bleiben zuverlässig.
Wein Dich präsent, kleines Menschenkind, is gut.

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11.05.2020

„BLUMEN FINDEN“

Ja, ich kann die Intention erkennen und mich über die Geste auch ein paar Momente freuen, sicherlich, ich bin kein absoluter Outsider ohne jeden Bezug zu Symbolsprache und Gepflogenheiten der Kultur in der ich aufgewachsen bin. Aber letztlich bemüht es mich unnötig,  wenn mir Menschen zu besonderen Anlässen als Zeichen ihrer Zuneigung Schnittblumen überreichen. Ich mag an mir, dass ich trotz meiner „Schöngeistigkeit“ klar assoziieren kann:
„Gewächshaus, Arbeitsbedingungen, Pestizide, Wachstumshormone, Fairtraid, Transportkosten, Kunststoffverpackung“.  Und ich mag, dass ich denke: “ Blüten sind die Fortpflanzungssorgane der Pflanzen und jetzt bin ich eingeladen ihnen dabei zusehen, wie die Lebenskraft aus ihnen weicht, sie verwelken und ich sage „Wie schön! Danke“ ?? Was sagt das über unser Leben aus? Nein!“
Wenn sie nun aber bereits von wohlmeinenden und charmanten Besuche-Abstattenden eingekauft worden sind und aufgrund dramatischer Geschehnisse oder Achtlosigkeit angebrochen, geköpft, zerrupft, zerknüllt oder hoffnungslos entkräftet an Autoparkplätzen und Hauseingängen liegen oder abgestürzte Teile aus Balkonkästen meinem Nachhauseweg durchkreuzen, komme ich nicht umhin, mich selbst mit vollen Einkaufstaschen oder dem Wochenendtrippgepäck nach ihnen zu bücken, sie einzusammeln und in meinen verschwitzten Pfoten möglichst unbeschadet nach Hause zu tragen.
Ihnen in reichlich kühlem Wasser ein paar Stunden und ein würdigeres Ende ihrer Existenz zu verschaffen. Wie gut sie sich erholen, überrascht mich selbst jedesmal von neuem. Gestern traf es diese schönen Zarten und ich bin Rettung, Sterbebegleitung, Beschenkte, Schenkende, Betrachterin, Vertreterin der auf sie fremdeinwirkenden Spezies und ihre Verbündete zugleich.

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27.04.2020

„BERLINER BÄREN“

Ich gehe mit meiner Nachbarin die aufgrund der Corona-Zeit regelmäßige Runde übers Feld, diesmal am Abend. Gleich an den Stufen unseres Zugangs fällt mir eine Person auf, die vereinzelt in der Mitte eines abgeschabten, vertrockneten Rasenstücks eine kleine Tanzparty feiert. Berlin eben. Sehen und gesehen werden. Keine Ruhe, nie.
Ich reagiere belustigt, etwas genervt, unangenehm berührt und kann gleichzeitig nicht wirklich wegschauen, kann meine Irritation und ein paar unausgegorene Gedanken dazu nicht für mich behalten.
Parallel dazu entwickel ich etwas Neid und wütende, ungeduldige Sehnsucht-ich würde auch gerne wieder weniger darauf achten, wie ich wirke, welches Bild ich abgebe oder die vielen Augenpaare in allen urbanen Ecken ehrlich vergessen können! Umso unangenehmer ist es mir, diesen kleinen persönlichen Rave mitzukriegen. Da hilft es mir ein paar Vermutungen, derbe Witzeleien und Sarkasmen auszurufen. Padauz!
Im Weitergehen gewinne ich etwas an Mitgestaltungs-Ermächtigungsgefühlen zurück:
aus einem anderen Winkel, mit mehr räumlicher Distanz steigt meine Neugier und die Belustigung wird zu einem gut-unterhalten-Sein. Ich bemerke, dass der braune Hoodie mit den ebenso braunen Rießenkopfhörern die bärige Physis des Tänzers untermalt und ich freue mich an den übermütig fliegenden Armen und leichtfüßigen Sprüngen die der Gemütlichkeitskörper meinem bühnengeschulten Blick anbietet.
Als nächstes sehe ich, dass die Augen des Feiernden geschlossen, das Gesicht genüsslich Richtung der letzten Sonnenstrahlen gereckt bleiben und ich bin beeindruckt von der Ausdauer und Länge des Tanzes, den Varianten und Feinheiten darin. Ich beeile mich meiner Nachbarin überspannt: „Der Tanzbär, der Tanzbär“ zuzukrächzen, um sie anzuregen sich, wie ich, zu ihm um zu drehen oder stehen zu bleiben. In meinen ihr Tempo aufholenden Gang mischen sich kleine Hüpfer, es rumoren ein paar Berührtheitstränen in meinem Brustkorb und aus meiner Fremdscham wird ein pompös schwellender Fremdstolz:
das ist kein auf heißen Kohlen verzweifelt tippelnder, in Ketten gelegter Showbär! Das ist ein zufrieden brummendes, sich Waldhonig von den warmen, weichen Pfoten leckendes, kräftiges Tageslicht-Partyoberhaupt!
Als wir die Tempelhofer Freiheit und ihre Menschenmengen verlassen, feiert er noch immer.
Und sein Tanz verankert sich in der Nacht, nach Schließen der Tore, wiegenden Weges über die Antennen meines bereits ruhenden Berliner-Bären-Hauptstadthaares. Über meine Branken. Hierher in diesen Text.

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14.04.2020

„ARTGERECHTES“

Es muss circa sieben Jahre her sein:
Ich stehe auf einem Berliner Wochenmarkt vor der Lade einer Gärtnerei und kämpfe mit den Tränen. Völlig unvorhergesehen zieht es mir im Magen, meine Knie werden weich und ich möchte nur noch postwendend in die Tiefen eines Kinderbuch-Djungels fallen.
In diesem Moment spüre ich schlagartig, wie lange ich kein Gemüse mehr selbst aus dem Boden gezogen, Kirschen, Äpfel, Aprikosen oder Kartoffeln aus der Nachbarschaft geschenkt bekommen habe.
Dass Wachstum selten ganz und gar einheitlich und geradlinig ist, nicht in industriegleicher Vervielfältigungs-oder Wiederholungsästhetik stattfindet–sondern eben krumm, schief, verwunden, bollig, spindelig, mit zuppeligen Enden und kraftvollen Kurven, als Miniaturen und Giganten, mit erdigem Geruch und karibischen Farbverläufen passieren kann, ist durchaus in meinem Kind-vom-Land-Wissen verankert.
Aber trotz dessen und obwohlich ich seit Anbeginn „Bio“ kaufe, spür ich jetzt, dass die Normierung der Größe, Farbe und Form von Gemüse und Obst im Handel mein Bild von der Welt wirkungsvoll beeinträchtig hat.
Ich habe mich um Vielfalt und Freiheit betrügen lassen. Sie fehlten nicht nur auf meinem Teller, sondern haben sich auch aus meinem Bewußtsein zurückgezogen.
Hier kullern mir jetzt Elfen, Trolle, Zwerge, der Geist von Umsturz und Abkürzung, sämtliche Charaktere der unendliche Geschichte, Punk und Rock n Roll in einem Schub und mit großer Wucht entgegen und vor die Füße. Mir ist, als spüre mein von Ehrgeiz und Domnestizierung mitgeprägter Geist und Körper die Erdanziehungskraft schlagartig mit einem Mal und nach langer Zeit zum ersten Mal wieder–und meine Organe, Flüssigkeiten und Fasern verwuchern in Sekundenschnelle mit den dargebotenen Urspeisen.
Meine Skoliose, muskuläre Dysbalancen, meine Hakennase, große Poren, das umkämpfte Hohlkreuz und meine lupenkleinen Pliés fügen sich ins weiche Licht natürlicher Dämmerung und plastischer Schattenführung.
Außer Stande näher an Wildkräuter und -salate, Wurzelgemüse, dick-und bunt-adriges Blattwerk zu treten, an ihnen zu riechen oder sie zu berühren, geschweige denn, Preise zu erfragen oder Kaufentscheidungen zu fällen, ziehe ich parallelisiert von Dannen.

In diesem Jahr wachsen auf meinem Balkon Brennesseln und Wiesensaaten.
Ich durchwühle empört Lebensmittelläden nach Bitterstoffen. Ich mache Lagerfeuer, Kurztrips aufs Land, knabbere an „Beikraut“ und schlafe endlich wieder unter freiem Himmel.

12.04.2020

FROHE OSTERN!

ÖSTERLICHES SOULFOOD-
Wachsen lassen!

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12.10.2020

„SELBSTFÜRSORGE“

Dieses Gespräch spielt sich vor einigen Jahren bei einem meiner ausgiebigen Brunches zu Hause ab. Ich habe Freund:innen eingeladen und ein paar Stunden gemeinsames Beisammensein und Schmausen liegen bereits hinter uns. Ich stehe an der Spüle, wir haben begonnen etwas klar Schiff zu machen. Für mich etwas unvermittelt fragt eine Freundin: „Worum geht es eigentlich im Feminismus?“
Sie weiß bereits, dass ich in dem Thema sehr engagiert bin, hat selbst allerdings wenig Leidenschaft für und wenig Information dazu. Jetzt, mit Abstand, denke ich: Ist doch eine legitime Frage und die Antwort könnte sein: „Für mich ist Feminismus einer der Inhalte von Herrschafts-und Systemkritik, grob verallgemeinernd geht es um Gleichberechtigung-das wird aber den verschiedenen Strömungen und Standpunkten im Feminismus nicht gerecht. Am besten liest Du Dich selbst ein, es gibt ausführliche Informationen zu sämtlichen Richtungen des Feminismus. Die Reise lohnt sich!“
Damals habe ich diese zusammenfassende, vermittelnde und Verantwortung-zuweisende Antwort nicht parat.
Und obwohl ich dazu in diesem Moment nicht in Stimmung bin, wechsel ich ein paar Worte mit ihr, gewillt einen groben Abriss des Feminismus, in dem ich mich wiederfinde, zu geben. Schließlich geht es um die Sache- und die Sache ist wichtig.
Die Freundin ist in Diskutier-und Spiellaune. Nach spätestens jedem Satz von mir kommt ein Widerspruch oder eine These. Für mich nichts wirklich entscheidendes, kein ernstzunehmender Widerspruch, weil wir uns nicht über Begrifflichkeiten oder Zusammenhänge geeinigt haben, über die wir reden wollen. Weil wir außerdem nicht auf einem gemeinsamen Informationsstand sind und uns nicht auf einen Text, eine Situation, ein Beispiel beziehen, in meinen Augen fehlt jegliche Diskussionsgrundlage. Diese für mich Schein-Gegenposition, viele „Abers“ und stichelnden Fragen, bevor ich mein Verständnis ausführen kann, nerven mich kolossal. So wirklich kann ich das Interesse am Thema und an meiner Perspektive nicht erkennen. Sie hat bereits eine Position eingenommen: Feminismus ist Kackscheiße. Überflüssig. Überholt. Unsexy. Und ich soll nun zu dieser Haltung den Gegenpart bilden. Sicherlich, das ist eine Art sich einem Thema anzunähern: eine Position aufschnappen, in den Raum stellen, eine Person ausfindig machen, die etwas anderes vertritt, im Gespräch neue Erkenntnisse oder Informationen sammeln oder zumindest eigene denkerische und rhetorische Fähigkeiten trainieren. Nun ist es nur so: ich beschäftige mich seit meiner Kindheit unbewußt und seit meinen Jugendjahren bewußt mit diesen Themen. Eine lange Zeit. Ich hatte ausgiebig Gelegenheit, meine Begeisterung und Leidenschaft in Basisfragen zu Diskriminierung, Machtsensibilisierung in vielfältigsten Gesprächen zu verpulvern. Auch zahlreiche sehr anstrengende und frustrierende Auseinandersetzungen. Meine Lust das in den Grundbegriffen mit einer erwachsenen Person, die damit immer wieder Berührung hatte und längst schlauer sein könnte, zu wiederholen ist in diesem Moment: nichtexistent. Als ich das begreife, steige ich aus dem Gespräch aus.
Ich bin nicht verpflichtet, Menschen die ich treffe, meine Freund:innenkreis oder Interessierte jederzeit und kostenfrei auszubilden, sie zu informieren oder sie auf dem jeweiligen Wunschlevel abzuholen. An schon zu vielen Punkten bin ich in dieser Gesellschaft gezwungen in und geprägt von patriarchalen Strukturen oder Mehrheitsmeinungen zu leben. Was in Beziehungen und in der Kommunikation zwischen Einzelpersonen passiert, hat politische Dimensionen. Emotionale und geistige Arbeit ist der Job aller gleichermaßen und nicht im speziellen mein Job oder der bestimmter Personengruppen! Wenn ich mich damit auf diese Art beschäftige, dann weil es mich selbst interessiert, mir Spaß macht oder weil ich glaube es fällt auf fruchtbaren Boden. In diesem Moment trafen mindestens zwei der drei Voraussetzungen nicht zu.
Die Links zu Videos und Buchempfehlungen zur Frage „Worum es im Feminismus geht“, die ich meiner Freundin nach unserem Gespräch habe zukommen lassen ( alle niedrigschwellig, verständlich, informativ, kurzweilig, unterhaltsam, wahre Schätze und Fundgruben! ) hat sie auf Nachfrage übrigens nie gelesen oder angeschaut: keine Zeit, zu anstrengend, vergessen.

Es gibt glücklicherweise auch andere Beispiele aus meinem Leben. Drei enge Vertraute sind zu mir gekommen und haben gesagt, sie seien durch ein paar Sätze oder durch Jahre zurückliegende Gespräche mit mir dazu gekommen, Dinge kritisch und anders als zuvor zu betrachten, sie haben sich selbst und ihre Sicht begonnen zu hinterfragen. Inzwischen haben sie einen eigenen Bezug zu feministischen Kämpfen und sind stolzer und aktiver Teil der Bewegung geworden.
Halleluja!